Liebe Rebellis,

Vor einem Monat, am 2. Mai, war das Parlament eingeladen, ein direktes Briefing von den IPCC- und IPBES-Autoren zu erhalten - das Ergebnis des 39-tägigen Hungerstreiks von Guillermo Fernandez. In dieser Newsletter könnt ihr mehr darüber lesen, warum dieser Streik historisch war und warum die politische Klasse wieder einmal gezeigt hat, dass sie wirklich auf der falschen Seite der Geschichte steht. Guillermo hat auch ein paar persönliche Worte zu dieser Newsletter beigetragen.

Um historische Diskussionen in historische Taten umzuwandeln, brauchen wir zivilen Widerstand. Die Aktivist:innen des Klimastreiks haben im Mai mit der Blockade eines Tanklagers einen Meilenstein in der Entwicklung ihrer Bewegung erreicht. Weitere Aktionen sind zu erwarten - man darf gespannt sein, wie sich das entwickelt. Auch Renovate Switzerland befindet sich in einer intensiven Mobilisierungsphase, bevor sie wieder auf die Strasse gehen, mit dem Plan zu gewinnen. Zwei ihrer Autobahnblockierer sind Gäste in dieser Newsletter!

“Ich hoffe, dass meine eigenen Töchter eines Tages auch diesen Mut haben und für das Richtige eintreten werden”. Diese Worte stammen von einem Richter in Zürich. In der Newsletter erfahrt ihr mehr über den Verlauf der Prozesse und wie ihr die Aufständischen unterstützen könnt. Druck innerhalb und ausserhalb der Gerichte wird nötig sein, bis die Richter erkennen, dass es ihre Pflicht ist, wie alle anderen auch, aufzustehen und nicht länger mit dem System zu kooperieren, ungeachtet der Konsequenzen.

Mit Liebe und Wut,

Anaïs, Frank, Marie und Sanja, Euer Newsletter-Team


Die Sitzung vom 2. Mai: gemischte Bilanz

Guillermo und einige Doktoren für Extinction Rebellion sprechen am 2. Mai

Am 2. Mai geschah in der Schweiz etwas Historisches: Politiker hörten den Wissenschaftlern zu! Die Schweizer Parlamentarier wurden zu einer Fortbildungsveranstaltung über die Klima- und Biodiversitätskrise eingeladen, die von der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften organisiert wurde. Dies war ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu echten, starken Aktionen für eine nachhaltige Zukunft in der Schweiz. Spät dran? Ja, aber trotzdem eine gute Nachricht.

Nichts von alledem wäre ohne den zivilen Widerstand geschehen, in dem normale Menschen aufstanden, um gegen das “Business as usual” zu rebellieren. Die Parlamentssitzung ist ein Sieg, den Guillermo Fernandez zusammen mit seinen Helfern durch seinen 39-tägigen Hungerstreik im letzten Herbst errungen hat. Das Volk hat Macht!

Die Sitzung war jedoch nicht obligatorisch - nur 90 der 246 eingeladenen Politiker waren anwesend, wobei die linke Seite des Saals viel voller war als die rechte. Einige Politiker entschuldigten sich damit, dass sie bereits alles wissen, was es in der Wissenschaft zu wissen gibt. Ihre kriminelle Untätigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal künftiger Generationen ist also beabsichtigt? 

Um die anwesenden Politiker zu unterstützen, versammelten sich fast 300 Rebellen und Klimaaktivisten auf dem Bundesplatz, um sie zu begrüßen. Grosseltern für das Klima zeigten ihre Wertschätzung mit Blumen, Lächeln und Applaus. Doctors for Extinction Rebellion demonstrierten, was passiert, wenn der Globus ein zu hohes Fieber bekommt. Artibees, BreakFree Suisse, Scientist Rebellion, Renovate Switzerland… viele stimmten in den Chor ein: Es gibt viel zu tun!

➡️ Was acht Experten von Weltrang über das Klima, die Artenvielfalt und das Überleben der Menschheit gesagt haben, erfahrt ihr hier.

➡️ Einen persönlichen Bericht über die Tagung von Marcus, einem Schweizer Rebellen, findet ihr auf unserer Webseite.


Gastbeitrag: Guillermo Fernandez

Foto: Blaise Kormann

Dieser Teil der Newsletter wurde Guillermo angeboten, um etwas Persönliches für unsere Rebellis zu schreiben! Hier ist sein Beitrag.

“Eine neue Normalität

Hörst du dieses Geräusch im Hintergrund? Wie ein Topf, der zu köcheln beginnt.

Renovate Switzerland blockiert die Autobahnen.

Klimastreik unterstützt begeistert die Blockade eines Depots im Rümland.

Mit einem Hungerstreik wird das Klimabriefing für das britische Parlament gewonnen.

Ob in England, Italien, Deutschland oder Frankreich, überall finden Menschen ihren Mut, trauen sich und erheben ihren Kopf.

Das ist die neue Normalität. Wir legen einen hohen Gang ein. Keine netten Spaziergänge mehr im Stadtzentrum. Wir stehen da, direkt vor dir, unübersehbar.

Funktioniert das? Ja, es funktioniert!

Als am 2. Mai 2022 eine Mehrheit der Parlamentarier glaubte, die Klimawissenschaft folgenlos ignorieren zu können, hat sie sich getäuscht.

Die Westschweizer Presse forderte sie auf, sich zu rechtfertigen. Von Freudschen Ausrutschern bis hin zu lächerlichen Patzern zeigten sie sich als das, was sie sind: entweder inkompetent, unverantwortlich oder korrupt, oder alles zusammen.

Man hat sich über sie lustig gemacht, in Frankreich in Le Monde und auf France Inter und sicherlich auch anderswo. 

Die Nadel hat sich bewegt. Für einen großen Teil der Presse ist es nicht mehr normal, sich nicht um das Klima zu kümmern.

Es ist die neue Normalität: Wer die Dringlichkeit der Klimakrise und das Sterben der Artenvielfalt leugnet, hat jetzt einen politischen Preis zu zahlen. Und den werden wir Sie zahlen lassen, mit Zinsen!

Ihr, die ihr mich lest, habt keine Angst. 

Ihr seid jung, kämpft für eure Zukunft. 

Ihr seid nicht mehr so jung, seid verantwortungsbewusste Erwachsene und kämpft für euer Erbe.

Was auch immer geschieht, die Physik wird euch Recht geben. In 10 Jahren, in 100 Jahren wird man immer noch von euch als den Held*innen sprechen, die ihr seid.

Die Linien sind in Bewegung, lasst uns weiter agitieren.

Bald wird es kochen, und der Topf wird endlich überschäumen!”

-Guillermo 


Gastbeitrag: Stimmen aus Renovate Switzerland 

Die Warm-up-Phase von Renovate Switzerland im April führte zu vier blockierten Autobahnen, stundenlangen Verkehrsbehinderungen, über 150 Nachrichtenartikeln und Politikern, die zu TV-Sendungen eingeladen wurden, um zu begründen, warum sie nicht den Job übernehmen, die undichten Häuser unseres Landes in einer Klimakrise zu schützen… Und das alles mit 16 Personen!

Die zweite Aktionsphase wird am Ende des Sommers stattfinden und über 100 Personen umfassen. Sie sind jetzt gerade damit beschäftigt, zu mobilisieren, Universitätsvorlesungen zu unterbrechen und Gespräche im ganzen Land zu planen. 

Für diesen Newsletter haben wir zwei der Menschen, die auf den Autobahnen sassen, eingeladen, etwas Persönliches zu schreiben.

Lea Zucchinetti

Lea in Handschellen am Strassenrand

“Ich bin eine 23-jährige junge Erwachsene, und obwohl ich die Kampagne mitbegründet habe, war ich noch nie verhaftet worden, bevor ich an den Blockaden von Renovate Switzerland teilnahm. Dennoch war die erste Gruppe, die die Autobahn blockierte, meine eigene - und sie wählte mich als Anführerin aus! Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, eine Aktionsgruppe zu leiten … und schon gar nicht eine Gruppe, in der ich die Jüngste war, mit Herren, die meine Grossväter hätten sein können!

In den Wochen vor der Aktion hatte ich viele Befürchtungen und Ängste. Doch mit jedem Training, Briefing und Treffen mit den anderen Teilnehmern fühlte ich mich immer besser vorbereitet. 

Als ich am Abend zuvor der Gruppe die letzten Anweisungen gab, spürte ich viel Respekt und Vertrauen mir gegenüber und zwischen allen Personen im Team. 

Aber der beste Moment war, als wir endlich auf der Autobahn sassen: Ich fühlte mich perfekt vorbereitet. Wir hatten jedes mögliche Szenario in Betracht gezogen. Unsere Disziplin hob meine letzten Ängste auf und es blieb nur noch unser Mut, unsere Entschlossenheit und unser Empathie übrig. 

Das Kampagnenteam legt viel Wert darauf, eine starke, disziplinierte und engagierte Gemeinschaft zu schaffen - und es hat funktioniert! 

Ich habe genug von schönen Worten. Mit Renovate Switzerland wollen wir uns die Mittel geben, um unsere Ambitionen zu verwirklichen. Wir haben spezifische Ziele und einen Plan, wie wir sie erreichen wollen - das ist ernst gemeint. 

Wir sind dabei, ein Netzwerk von Menschen im zivilen Widerstand aufzubauen, die sich gegenseitig unterstützen. Eine Gemeinschaft, die jede Person aufnimmt, die entschlossen ist, gewaltfrei zu tun, was nötig ist, um zu retten, was wir noch zu retten haben.”

Elisabeth

Elisabeth richtet ein ziemliches Chaos an

“Ich bin gerade 78 Jahre alt geworden und ich glaube, ich bin die Großmutter der Gruppe! Eine Gruppe junger (und weniger junger) Menschen, die in ihrer herzlichen Gastfreundschaft und ihrer Energie wunderbar sind. Seit ich 1968 einige Monate im neu gegründeten ML King Centre in Lausanne verbracht habe, ist der gewaltfreie Widerstand ein Teil meines Lebens. Es war mir daher eine Freude, mich diesen mutigen und entschlossenen jungen Menschen anzuschließen. Ich hatte bereits an Demonstrationen teilgenommen, aber nicht in dieser warmherzigen und einfachen Atmosphäre.  Ich bin dieser mutigen und entschlossenen Gemeinschaft sehr dankbar!”


Nachrichten aus den Gerichtssälen

Sieben Aktivist:innen mussten sich bereits in Zürich für die Aktionen auf der Quaibrücke und die Rebellion gegen das Aussterben in Zürich vor Gericht verantworten. Sechs wurden wie erwartet schuldig gesprochen, aber im letzten Prozess vom 24. Mai haben wir endlich einen Sieg erfochten: die Aktivistin, welche im Oktober 2021 als Peacekeeper dabei war, wurde freigesprochen! Der Staatsanwalt konnte nicht beweisen, dass sie sich an der Sitzblockade aktiv beteiligt hatte. 

Eine weitere sehr positive Neuigkeit von den Prozessen ist, das zumindest einem Richter die Verurteilung gar nicht leicht gefallen ist. Eine Aktivistin, die im Gerichtssaal war, beschreibt den Ablauf wie folgt:

«Der Richter wiederholte mehrmals, dass er den Mut des Aktivisten bewundere und dass er hoffe, seine eigenen Töchter werden auch einmal diesen Mut haben und sich für eine so wichtige Sache einsetzen.  Er sage, dass ziviler Ungehorsam lobenswert, ja sogar gesellschaftlich wünschenswert sei und dass es ja einen absoluten Klimanotfall gebe. Der Richter sagte aber auch, dass er einen sehr geringen Handlungsspielraum habe, da die Schweiz den Notstand nicht anerkannt habe, was er persönlich bedauere. Er seufzte, als er sagte, er denke, dass dies geschehen werde, wenn wir kaum noch Luft bekämen.»

Das heisst es wird spannend für die kommenden Prozesse, mit bewegenden Plädoyers unserer mutigen Rebell:innen  und vielleicht einem oder einer Richter:in, die den Mut hat für einen Freispruch.

Bis Ende Juni stehen 12 Prozesse an. Ganz besonders ‘heiss’ wird es am Freitag, 24.6., an dem 6 Prozesse geplant sind. 

Den laufend aktualisierten Prozesskalender findet ihr hier. Weitere Infos folgen auf den üblichen Kanälen.  Wichtig: Wenn du den Verhandlungen beiwohnen und die Aktivist:innen mit deiner Anwesenheit unterstützen willst, melde dich beim Anwaltsteam an (rga-legal@riseup.net), das dafür sorgt, dass die Gerichtssäle gross genug sind.


Soli Demo in Zürich am 8. Juni

 

Am 8. Juni wird sich Mikhail vor Gericht verantworten müssen. Er wurde am 4. Oktober 2021 verhaftet, weil er die Öffentlichkeit durch Stricken auf der Strasse auf die Klimakrise aufmerksam gemacht hatte. Mikhail plant, seinen Prozess zu einem Fest zu machen, und wird unmittelbar nach der Verhandlung einen Marsch zum Weltozeantag starten. Die Blue Oyads, begleitet von Walgesängen, und alle, die sie unterstützen wollen, werden vom Bezirksgericht bis zum Zürcher Hauptbahnhof marschieren. Ort: Wengistrasse 28, 8004 Zürich; Datum: Mittwoch, 8. Juni 2022, 10.30 Uhr (nach der Gerichtsverhandlung von Mikhail um 8.30 Uhr) 


Aufforderung zum Handeln

Um Veränderungen zu bewirken, reicht es nicht nur zu reden, wir müssen auch handeln. Das Organisationsteam von XR Schweiz unterstützt euch dabei, aber wir sind darauf angewiesen, dass ihr die Initiative ergreift und Kampagnen und Aktionen organisiert. Hier sind auch nur zwei Möglichkeiten:

  • Nehmt an der internationalen Rebellion in Brüssel am 19. Juni teil. Rebellen aus der ganzen Welt werden sich vor dem Europäischen Parlament versammeln, um eine lebenswerte Zukunft zu fordern. Weitere Informationen und eine Anleitung, wie ihr euch der Schweizer Delegation anschliessen könnt, findet ihr hier.
  • Schliesst euch XR MAPA (Most Affected People and Areas), unseren Freunden im Globalen Süden, bei der Organisation von dezentralen Aktionen rund um das G7-Treffen (26.-28. Juni) an. Den vollständigen Aufruf zur Aktion findet ihr hier. Wenn ihr euch mit anderen Rebellen in Kontakt setzen  möchtet, um Aktionen in der Schweiz zu organisieren, dann könnt ihr eine E-Mail an xr-switzerland@riseup.net senden.

Ziviler Widerstand im Ausland

Die Rebellion ruht nie und ist auch außerhalb der Schweiz aktiv gewesen. Hier nur ein paar der Ereignisse der letzten Wochen:

  • In Grossbritannien hat Money Rebellion die Jahreshauptversammlung der Bank HSBC, die fossile Brennstoffe unterstützt, mit einer gut getimten Gesangseinlage unterbrochen.
  • Ebenfalls im Vereinigten Königreich begannen die Aktivisten von Just Stop Oil, die Ölindustrie ins Visier zu nehmen, indem sie sich unter anderem in einem Ölterminal verbarrikadierten. Sie fordern einen sofortigen Stopp neuer Öl- und Gasprojekte durch die britische Regierung.
  • In Deutschland richtet sich die Letzte Generation ebenfalls gegen Öl, indem sie mehrere Tage lang mehrere Ölpipelines blockiert. 
  • In Paris besetzten XR-Rebellen zum Earth Day große Boulevards, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen, während in New York und London zeitgleich Veranstaltungen stattfanden.

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