Am 2. Mai war es endlich so weit!

Das gesamte Parlament der Schweiz, sowohl Ständerat als auch Nationalrat, wurden von Top-Wissenschaftler*innen über die Klimakrise und das Artensterben informiert. Das ist die Voraussetzung für eine der wichtigsten Forderungen von Extinction Rebellion und dafür hat auch Guillermo Fernandez mit seinem Hungerstreik letzten Herbst gekämpft. Tell the truth - sag die Wahrheit.

Jetzt wissen die Politiker*innen und alle Journalist*innen Bescheid; sie tragen die Botschaft weiter und handeln danach. Mensch muss doch sicherlich handeln, wenn klar geworden ist, dass nichts tun / nichts verändern eine Katastrophe auslösen wird. Oder etwa nicht? Wissen sie jetzt Bescheid? Ist es für sie offensichtlich? Werden sie handeln?

Als ich den Anlass im Live-Stream auf Youtube verfolgt habe, wuchs erst meine Verwirrung, dann meine Enttäuschung schliesslich meine Wut und mit ihr die Einsicht, dass es Extinction Rebellion jetzt erst recht braucht. War das DER Anlass? Die meisten Politiker*innen hielten es nicht einmal für nötig zu erscheinen. Dabei hätten auch Skeptiker ihre Fragen stellen können.

Warum war ich enttäuscht und verwirrt? Wurde mit grossem Engagement über unsere aktuelle Situation und unsere Zukunftsaussichten referiert? Entsprachen die Emotionen der Redner*innen der Dringlichkeit des Anlasses? Erschienen die Referate so sorgfältig vorbereitet, wie es die Bedeutung der nötigen Massnahmen verdient haben? Für mich passte alles nicht zusammen. Es gab wohltuende Ausnahmen, von denen ich unten berichten werde. Ansonsten war der ganze Anlass angepasst an den Saal im Bundeshaus. Alle verhielten sich so, “wie es dort üblich ist”. Dabei ist ja gerade dieses Verhalten mitverantwortlich für die katastrophale Situation, in der wir stecken. Was die Wissenschaftler*innen gesagt haben, entsprach den neuesten Erkenntnissen. Wurde es von den Parlamentarier*innen verstanden? Ich glaube nicht. Form und Inhalt haben sich widersprochen.

Stell dir vor, jememsch sagt zu dir ohne jegliche Gemütsregung: “Da ist eine Person mit zwei Kleinkindern auf dem Fussgängerstreifen.” Dann gehst du davon aus, dass alles in Ordnung ist. Wenn aber die gleiche Person zum Fussgängerstreifen hinrennt und schreit: “Da ist eine Person mit zwei Kleinkindern auf dem Fussgängerstreifen, das Lichtsignal für die Autos wechselt gleich auf grün und das vorderste Auto wird sie fast mit Sicherheit zu Tode fahren!!!” Dann wüsstest du, dass die Person einen Notfall schildert. Du würdest auch hinrennen und helfen, die Kinder von der Strasse zu tragen. Warum? Weil nicht nur ein Zustand, sondern auch die wahrscheinlichste kommende Entwicklung sowie die Konsequenzen benannt wurden - und zwar emontional und in klaren Worten.

Am 2. Mai sagten Wissenschaftler*innen im Bundeshaus in ruhigem Ton zum Beispiel folgende Dinge (teilweise übersetzt und gekürzt):

  • “Ab einer Erwärmun von 2 Grad sezten wir uns Risiken aus, die nicht mehr zu bewältigen sind.” (Huggel, Uni ZH)
  • “Nur ein sofort eingeleiteter, entschiedener Wandel in Gesellschaft und Politik führt zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen.” (Fischer Uni BE)
  • “Der aktuelle CO2-Anteil ist für tausende / hunderttausende von Jahren irreversibel” (Seneviratne, ETH ZH)
  • “Der Verlust der Biodiversität ist ein grosses Risiko für unser Wohl und für das Funktionieren der Gesellschaft” (Guisan, Uni Lausanne)
  • “Transformation ist nötig.” (Patt, ETH ZH)
  • “Massnahmen zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre, dürften wegen ihres riesigen Landbedarfs die Ernährungssicherheit gefährden” (Fischlin, ETH ZH)

Niemand hat diese Aussagen mit den konkreten, wahrscheinlichsten Entwicklungen ergänzt. Niemand hat gesagt: “Wenn wir die Klimaerwärmung und das Artensterben nicht stoppen, werden (fast mit Sicherheit) heute lebende junge Menschen Millionen Tote durch Hitze, Fluten, Hunger, Durst, Pandemien und Krieg miterleben - in der Schweiz und weltweit.” Zumindest für mich ist das die einzige logische Schlussfolgerung, wenn unsere “Ernährungssicherheit gefährdet” ist, wenn “die Gesellschaft nicht mehr funktionieren” wird, wenn “unsere Lebensgrundlagen nicht erhalten bleiben” und wenn wir “die Risiken nicht mehr bewältigen können.”

Auf Ihre Art haben die Wissenschaftler*innen ihr Bestes gegeben. Julia Steinberger und Anthony Patt haben auf ihre akademische Art Klartext geredet. Andreas Fischlin hat gezeigt, dass dieses Thema auch emotional sein muss. Cornelia Krug und Anoine Guisan haben klar gemacht, dass es nicht nur um die Menschen, sondern auch um die Tiere geht und Sonja Seneviratne hat bestätigt, dass schon heute in der Schweiz Menschen am Klimawandel sterben. Es ist aber niemand in Bern von seinem Sitz aufgesprungen und hat gesagt: “Ich werde jetzt aktiv, wer macht mit?”

Wie geht es weiter? Ich befürchte, in der Politik ändert sich mit diesem Anlass nicht genug. Es liegt weiterhin auch an uns, die Wahrheit unverblümt zu sagen. Dazu brauchen wir Aufmerksamkeit, dazu braucht es Kreativität und Disruption - dazu braucht es Extinction Rebellion und Aktionen.

Mit Liebe und Wut,

Marcus