Einleitung

Im Rahmen der staatlichen Repression, gegen die Quaibrücke-Aktion im Juni 2020 und der Rebellion gegen das Aussterben im Oktober 2021 in Zürich, hat eine kleine Gruppe von Personen beschlossen, nötigenfalls bis auf Bundesebene Einspruch zu erheben gegen den Vorwurf der Nötigung in ihrem Kampf für Klimagerechtigkeit. Sollten die Schweizer Gerichte am Vorwurf der Nötigunge festhalten, wird diese Gruppe ihren Kampf unbeirrt bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fortzusetzen.

Bis zu 48 Stunden Untersuchungshaft, Fingerabdruck- und DNA-Proben, Leibesvisitationen und der strafrechtlich relevante Vorwurf der Nötigung, der im Falle einer Verurteilung einen Eintrag im Strafregister nach sich zieht, sind unverhältnismässige Mittel, die offensichtlich nur ein Ziel haben: die Klimaaktivisten einzuschüchtern und zu entmutigen (‘chilling effect’). Unsere Aktionen wurden allesamt angekündigt und verliefen ausnahmslos friedlich. Es kam zu keinem einzigen sicherheitsrelevanten Vorfall. Wir sind daher der Ansicht, dass unser Vorgehen unter die Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt und im schlimmsten Ausnahmezustand, den die Menschheit je erlebt hat, legitim ist. Obwohl wir mindestens seit den 1970er Jahren wissen, dass unser System nicht tragfähig ist, verharrt die Politik auf dem Weg der Leugnung und begnügt sich mit kosmetischen Massnahmen, die es nicht ermöglichen werden, die im Pariser Abkommen festgelegten Ziele zu erreichen, zu deren Einhaltung sich die Schweiz aber verpflichtet hat. Es ist die Untätigkeit unserer Politik und die bequeme Ignoranz der Mehrheit, die uns dazu gezwungen hat, auf die Straße zu gehen.

Pressemitteilungen :

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  • Beteilige dich an Unterstützungsaktionen für unsere Gruppe. Schreibe uns an strasbourgXR@riseup.net
  • Spende. Die Anwalts- und Gerichtskosten sind enorm. Deshalb ist auch eine kleine finanzielle Unterstützung sehr wertvoll. Konto Climate Action Switzerland, 8000 Zürich, IBAN CH54 0839 0036 1439 1000 5, BIC ABSOCH22XXX, Kommentar: Gruppe Strassburg

PORTRAITS :

MARIE :

44 Jahre alt, Normalbürgerin, Radiologietechnikerin, Mutter von zwei Kindern.
Wenn das Wetter schön ist, ist meine Stimmung auf dem Höhepunkt. Wenn ich in der Natur bin, bin ich in Ekstase.Aber wenn ich sehe, welche Verwüstungen der Mensch ihr zufügt, fühle ich mich verzweifelt.
Ohne Biodiversität kann man nicht leben, die Wechselwirkungen zwischen den Lebewesen sind enorm. Obschon wir Teil dieses Ganzen sind, sind wir die einzige Spezies, die für das Aussterben von Millionen anderer verantwortlich ist.

Da die Katastrophe schnell und spürbar eintritt, versetzt sie mich in Angst und Schrecken. Manchmal fühle ich mich winzig klein, um etwas tun zu können. Ich kann noch so viel aussortieren (einen Müllsack in 24 Tagen, mein Rekord!), regional essen, Energie sparen…usw., das reicht nicht. Der demokratische Weg, die Initiativen und die Abstimmungen sind so langwierig und gefährlich, dass man diese Langsamkeit abkoppeln und handeln muss. Ich würde selbst auf verlorenem Posten weiterkämpfen.

Aus diesem Grund trat ich den Doctors for XR, dem Gesundheitszweig von XR, bei, um neben anderen Rebell*innen, die die gleiche Vision haben wie ich, aktiv zu werden. Mir wurde klar, dass ich nicht allein und isoliert bin, wenn ich mir Sorgen um die ungewisse und düstere Zukunft mache, die wir für unsere Kinder vorbereiten.

Meine Öko-Angst hat übrigens schon vor der Zeugung meines ersten Kindes begonnen. Ich habe mich gefragt, ob ich überhaupt das Recht habe, ein Wesen in die Welt zu setzen, das vielleicht um den Zugang zu Wasser und Nahrung kämpfen müsste und Pandemien, Dürren usw. ausgesetzt sein würde, also mit Sicherheit in einer viel hässlicheren Welt leben würde als die, in der ich aufgewachsen bin. Heute habe ich eine gewisse Öko-Luzidität.

Wer hat den Klimawandel nicht schon im eigenen Leben festgestellt? Weniger Schnee im Winter, heisse Sommer, Dörfer ohne Trinkwasser zu bestimmten Zeiten, Unwetter, die von Jahr zu Jahr schockierender werden, Tiere, die man nicht mehr sieht…etc.

Also ja, ich habe an der Oktoberrebellion von XR in Zürich teilgenommen. Ich sass auf dem Zebrastreifen in vollem Bewusstsein meiner Handlungen. Ich musste mir Urlaub nehmen und eine Aufsicht für meine Kinder organisieren, um mir das zu ermöglichen. Denn ich bin hilflos angesichts der ganzen Untätigkeit der Staatschefs und der Nichteinhaltung der von unserer Regierung eingegangenen Verpflichtungen zum Klimaschutz.

Was mich empört und mich zum Handeln bringt, ist die Ungerechtigkeit. Ich habe mich für exakt 2 Minuten und 20 Sekunden mit drei anderen rebellischen Frauen auf die Strasse gesetzt. Dafür wurden wir festgenommen und verbrachten 47 Stunden in Polizeigewahrsam. Mir wird Nötigung nach Art. 181 des Strafgesetzbuchs vorgeworfen, wie allen anderen Rebell*innen auch. Wir wurden wie Kriminelle behandelt, dabei sind wir Warner*innen, die auf den Klimanotstand hinweisen, zum Wohle des Planeten und der menschlichen Gesundheit.

THOMAS :

Mit meinen dreissig Jahren denke und arbeite ich seit meinem Masterabschluss an der EPFL in den Jahren 2013-2015 über das Klima und die Energiewende nach. Und wenn es eine Schlussfolgerung gibt, zu der mich diese bald zehn Jahre geführt haben, dann ist es die, dass Technologien allein die Welt nicht retten werden. Erneuerbare Energien und Energiesparmassnahmen, die um ihrer selbst willen eingeführt werden, senken die Preise für fossile Brennstoffe und setzen Geld für den Kauf von fossilen Brennstoffen frei. Dies wird als Rebound-Effekt bezeichnet. Das Ergebnis: In den letzten 30 Jahren hat sich die Europäische Union in Übergangsmassnahmen erschöpft, und nachdem die Überwindung einiger abstruser Widerstände anfangs und für wenige Jahre noch zu einem leichten Rückgang der Emissionen geführt hatte, sind diese seit 2014 wieder hoffnungslos stabil, und niemand kann sie dazu bringen, wieder zu sinken, geschweige auf das Niveau einer CO2-Neutralität zurückzugehen.

Als mir im Oktober 2018 dann meine Cousine von Extinction Rebellion und zivilem Ungehorsam zu erzählen begann, schien mir das sehr abwegig. “So funktionieren die Dinge in der Schweiz nicht, wir machen Volksinitiativen”, habe ich ihr geantwortet. Und dennoch … Sowohl in ihren Forderungen als auch in ihren Grundsätzen entsprach die Bewegung in jeder Hinsicht dem, was ich für notwendig hielt, und beantwortete im Voraus alle meine Einwände. Sich friedlich, aber unaufhaltsam auf der Strasse zu versammeln, um den Druck auf die Regierungen zu erhöhen und nicht autoritäre Massnahmen zu fordern, sondern die Anerkennung der Dringlichkeit der Probleme und neue Instrumente der partizipativen Demokratie, um diese zu bewältigen. Die Lösung liegt im Problem selbst: Die Regierung muss auf diese Forderungen eingehen! Die Menschen würden viel mehr profitieren, wenn sie in gemeinsame Diskussions- und Entscheidungsräume investieren könnten, als wenn sie sich zwingen müssen, ihre Mitmenschen auf der Strasse wachzurütteln.

Im März 2019 bekam meine Cousine Recht. In Bern kam es zur “Erklärung einer Rebellion”, an der ich einfach teilnehmen musste. Und seitehr kommt mein Engagement im Rahmen von “XR” zu all den anderen Bemühungen, die ich schon länger für das Klima anstelle, noch dazu. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass seitdem alles einfach gewesen ist. Es ist schwer, die Menschen zu bewegen, wenn man sich selbst danach sehnt, ein ruhiges Leben in seiner Ecke mit seinen Freunden führen zu können. Aber das Klima wartet nicht, man muss sich zwingen! Und was soll’s, in unserer aufgeräumten Schweiz bedeutet ziviler Ungehorsam, dass man der Polizei nicht mitteilt, wo und wann man sich versammeln wird. Man muss nicht sehr weit gehen, um das Klima auf die politische Agenda zu setzen und die Medien zu zwingen, darüber zu berichten. Das scheint der Bedrohung angemessen zu sein. Dann kommt die Antwort der Behörden: keine Polizeigewalt, sondern Prozesse, die viel unterirdischer und demobilisierender wirken. Eine vernichtende, offizielle, blinde Ablehnung der Botschaft der Wissenschaf. Die Gerichte gehen sogar so weit zu schreiben, dass es nicht unser Ziel sei, vor dem Klimakollaps zu warnen, sondern den Verkehr zu blockieren, und rechtfertigen damit, dass wir nicht würdig sind, von den Grundfreiheiten zu profitieren.

Damit stellt sich plötzlich eine Frage, die viel ernster ist als die globale Erwärmung: Es ist die Entwicklung unserer Gesellschaft unter dem Einfluss des Klimawandels. Es ist leicht, das ganze mit der Frage abzutun: “Wo kämen wir denn hin, wenn jeder einfach wo und wann immer es ihm passt, einfach unangekündigt seine Meinung äussern würde?”. Was passiert im August, wenn alle zur gleichen Zeit beschliessen, an den Strand zu gehen? Aber wenn nur das das Problem wäre, dann hätten wir es rasch gelöst. Die Frage, die sich uns heute stellt, ist aber eben das genaue Gegenteil davon, und zwar nicht mehr im Konjunktiv: “Was passiert, wenn niemand mehr seine Meinung auf der Strasse äussern darf, ohne sich vorher darum zu kümmern, ob alle erforderlichen Behördengänge erledigt worden sind?” Um ehrlich zu sein, ist die Antwort auf diese Frage für mich beängstigender als die Aussicht, in einigen Jahrzehnten in einer tödlichen Hitzewelle zu sterben. Also wähle ich meine Kämpfe: Ich gehe nach Strassburg, wenn es sein muss. Aber du, bitte, ersetze mich auf der Strasse!

NICOLE :

Es gab diesen Aufruf zum zivilen Ungehorsam in Zürich. Ich musste dahin. Die Frage, ob die Aktion nützlich war, war zweitrangig. Die Aktion war legitim und das genügte mir. Wenn man/frau vom Zusammenbruch des Lebens betroffen ist - der praktisch von unserer westlichen Zivilisation organisiert wird und nichts mit den natürlichen Lebens- und Todeszyklen zu tun hat -, gibt es nur noch eine Option: handeln. Jede*r muss den Weg finden, der für ihn/sie richtig ist. Erst wenn wir aufhören werden zu sagen: “Es bringt nichts”, werden sich die Dinge wirklich ändern. Und für diejenigen, die glauben, dass das Gewicht der Schweiz in der laufenden Katastrophe verschwindend gering ist und alle Anstrengungen hierzulande vergeblich sind, sei nur erwähnt, dass allein der Finanzplatz Schweiz, wenn er ein Land wäre, mit seinen Investitionen den sechsten Platz in der verhängnisvollen Hitliste der Klimaschädiger einnehmen würde. Unsere Regierung lässt diese Investitionen zu und als Schweizer Bürgerin fühle ich mich mitverantwortlich. 

Ich habe eine Überzeugung. Auf Gemeinde- und Kantonsebene wurde der Notstand manchmal im Namen des Klimanotstands anerkannt. All diese Urteile wurden auf Bundesebene kassiert (z.B. im September 2021 im Fall der “roten Hände” auf einem Gebäude der Credit Suisse). Die Hartnäckigkeit des Bundesgerichts, mit der es sich auf eine starre Lektüre des Rechtstextes beschränkt, ohne die Fakten zu berücksichtigen, ist in Anbetracht der aktuellen Situation kriminell. In meinem kleinen Rahmen will ich mich für die rechtliche Anerkennung des klimatischen Notstands einsetzen, was Druck auf die Legislative ausüben würde. Die Zeit drängt. Wir können nicht die gleiche Geduld aufbringen, die bei anderen Kämpfen nötig war.

Ich bin 46 Jahre alt und Mutter von drei Söhnen im Alter von 7 bis 11 Jahren, lebe in Zürich und bin Übersetzerin und Yogalehrerin.

MARTIN :

Schon als 16-jähriger habe ich während eines Austausch­jahrs in Australien meinen Führer­schein gemacht. Nach meiner Rückkehr fühlte ich mich mega-cool, als erster am Gymer mit dem Auto vorfahren zu können. Ich habe fünf Inter­kontinentalflüge gemacht, sogar einen weekend-trip nach London, und so viel Fleisch gegessen, wie ich nur (bezahlen) konnte – ja, oft auch in Fastfood-Ketten. Vielleicht könnte man also sagen, dass ich ein ganz normaler Jugendlicher war, völlig auf mich selbst fixiert.
Erst während meines Studiums bin ich mir meiner ungeheuren Privilegien als gutsituierter Bürger eines demokratischen Gemeinwesens allmählich bewusst geworden. Dabei habe ich ein starkes Verantwortungsgefühl gegenüber der Gemeinschaft entwickelt und – je weiter mein Verständnis reichte – der gesamten Menschheit gegenüber und allem Leben auf unserem Planeten.
Die Folge davon ist, dass meine zwei Kinder heute ohne Auto aufwachsen müssen, von keiner Flugreise erzählen können und zwar regelmässig aber eben nur wenig Fleisch essen. Die armen!
Die Folge ist, dass ich das hundertjährige Haus, das wir bewohnen, energetisch totalsaniert und mit einer PV-Anlage bestückt habe, sodass mein ökologischer Fussabdruck heute nur noch knapp über einem Planeten liegt. Vielleicht könnte man also sagen, dass ich inzwischen ein ganz vorbildlicher Mensch geworden bin? – Ich pfeife drauf. Und es ist auch gar nicht wahr.

In Wirklichkeit hat die Gemeinschaft, die sich selber mehrheitlich kein Wohneigentum leisten kann, die Wertsteigerung meiner Immobilie mit einem fünf­stelligen Beitrag subven­tioniert und hat der Fiskus mich für zwei Jahre steuerbefreit. Diese Um­vertei­lung von unten nach oben ist der einzig zählbare Effekt unserer bisherigen Klimapolitik. Und ich habe abkassiert.
In Wirklichkeit habe ich viel zu lange ohnmächtig zugeschaut, wie wir den Planeten an die Wand fahren. Und die schweizerische Klimapolitik hat dafür gesorgt, dass ich mich dabei auch noch als Saubermann fühlen konnte: «Nicht meine Schuld, nicht mein Problem; sollen erst einmal die anderen…» Als ob der Klimakollaps mit ‘lifestyle’-Kosmetik noch zu verhindern wäre.

Aber damit ist jetzt Schluss! Ich habe genug gesehen: Die Politik kann es offensichtlich nicht und die Wirtschaft will es nicht richten. Wer, wie ich, friedlich und in Achtung des Rechtsstaa­tes gegen die­sen katastrophalen ‘Je-m’en-Foutismus’ agitiert, wird angeklagt und wegge­sperrt. Im Strafbefehlsverfahren werden zivil Un­gehor­same, die die hohen Verfahrenskosten nicht tragen können, kriminalisiert. Das kann ich nicht hinnehmen! – Und dank des oben erwähnten Um­­verteilungseffekts kann ich mir den Weg durch die Instanzen nun sogar leisten. Du unterstützt mich dabei also, ob Du willst oder nicht. Es könnte(n) auch noch mehr sein …

MIKHAIL :

Mein Name ist Mikhail Rojkov. Ich bin 26 Jahre alt. Ich habe gerade meinen Abschluss an der Haute École d’Art et de Design (HEAD) in Genf gemacht. Dort habe ich ein Master-Forschungsprogramm in kritischen Studien absolviert, nachdem ich zuvor einen Bachelor in Modedesign gemacht hatte. Schon früh von der Modeindustrie desillusioniert, aber tief mit der Nadelarbeit verbunden, bewege ich mich seit sechs Jahren in den trüben Gewässern dieses gnadenlosen Milieus, das sich in der (kosmischen) Verleugnung der Bedrohungen befindet, die auf ihm und dem gesamten Lebendigen lasten. Ich bin nämlich nach wie vor und seit Beginn meines Studiums davon überzeugt, dass die Mode ein Zugang zum Verständnis der gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen von heute und morgen ist. Das ändert jedoch nichts daran, dass ich mir vor Beginn meines Masterstudiums (aber auch zu Beginn desselben) mehr als einmal die Frage gestellt habe, ob es Sinn macht, das Studium in einer Welt fortzusetzen, die auf ihren Untergang zusteuert… Am Rande der Oktoberrebellion stellte sich diese Frage nicht mehr. Ich sah keine Alternative zu meinem Engagement und verliess meinen Vorlesungssaal, um nach Zürich zu kommen. Nichts machte für mich in diesem Moment mehr Sinn als das. Ergebnis: sofortige Verhaftung und 48-stündige Untersuchungshaft in einer Zelle und Gerichtsverfahren mit mehreren Gerichtsverhandlungen.

Aufgrund dieser Ereignisse befinde ich mich heute in einer finanziellen Sackgasse und habe eine psychische Belastung zu tragen, die ich niemandem zumuten möchte. Obwohl ich eine privilegierte Person bin, bin ich nicht in der Lage, die gegen mich gesammelten Belastungen zu bezahlen. Aber die Verwirrung ist umso größer, wenn es darum geht, die Anklage gegen mich zu akzeptieren. Ich weigere mich, den Vorwurf der Nötigung (nach Art. 181 des Schweizer Strafgesetzbuchs) zu akzeptieren und werde, wenn nötig, bis zum EGMR gehen, um mein Demonstrationsrecht zu verteidigen.

CATHERINE :

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der die Stipendien lächerlich klein waren und es nicht erlaubt haben, ein Studium in Betracht zu ziehen, wenn man nicht in einer Universitätsstadt wohnte oder aus einer wohlhabenden Familie stammte. Die Unmöglichkeit, den Job zu wählen, der mir gefallen hätte, kompensierte ich mit dem Drang, beruflich erfolgreich zu sein, bei allem, was ich tat.

Ich habe dieses Ziel erreicht, aber nach 45 Jahren eines erfüllten Berufslebens in einer wenig umweltfreundlichen Branche wurde mir bewusst, wie sinnlos das war, was mich all die Jahre beschäftigt hatte. Ein anderes Leben begann für mich an dem Tag, an dem ich pensioniert wurde. Seitdem widme ich einen grossen Teil meiner Zeit dem Klimaschutz. 

Ich begann ab 2020 an XR-Aktionen teilzunehmen. Mein Lebensgefährte schloss sich mir ein Jahr später an, und wir haben gemeinsam an mehreren Aktionen teilgenommen. Aber es war natürlich die Oktoberrebellion und ihre Nachfolgeaktionen, die unser Zugehörigkeitsgefühlt zur Bewegung wirklich geprägt haben. Indem wir uns verhaften liessen, wollten wir unsere Gesellschaft dazu zwingen, uns als Whistleblower zu bestrafen, während sie multinationale Konzerne, Banken und Umweltverschmutzer aller Art mit Respekt behandelt. Das BIP und das sakrosankte Wirtschaftswachstum sind zur ultimativen Religion unserer Zeit geworden. 

Nur eine allgemeine Bewusstseinsbildung kann die Dinge noch voranbringen. Die globale Erwärmung und der Verlust der Artenvielfalt müssen zu den wichtigsten Themen werden, sei es in der Schule, in Cafés oder in den Familien. Damit Taten folgen, muss der Bundesrat den Klimanotstand ausrufen, genau wie er es beim Covid getan hat.  

Als Bürger*innen haben wir nur wenige Möglichkeiten, Druck auf unsere Behörden auszuüben, da Initiativen und Referenden schon klar gezeigt haben, wie langsam und nutzlos sie in dieser Situation sind. Die von uns gewählte Methode, der zivile Ungehorsam, hat den doppelten Vorteil, dass sie unsere Anliegen bekannt macht und die Medien mobilisiert. 

So habe ich mich entschieden, meine Revolte gegen unsere Gesellschaft des übermässigen Konsums herauszuschreien, und gegen Politiker*innen, die sich für kurzfristige wirtschaftliche Interessen und ihre Wiederwahl einsetzen, bevor sie sich um die Gesundheit und das nackte Überleben ihrer Wähler*innen kümmern, und schliesslich meine Revolte gegen die Passivität meiner Mitbürger*innen , die selbst dann nicht bereit sind, ihr Verhalten zu ändern, wenn sie die Dringlichkeit des Klimaschutzes anerkennen.  

LEO :

Ich bin 25 Jahre alt und studiere Medizin an der Universität Genf. Sich vorzustellen, mit welchem Leid die nächsten Generationen konfrontiert sein werden, wenn wir nichts gegen den Klimawandel unternehmen, macht mir grosse Angst. Der Wandel muss jetzt stattfinden, bevor es zu spät ist, und das Handeln gegen die Umweltzerstörung ist für mich als zukünftiger Arzt untrennbar mit meinem Studium verbunden. Es ist zwingend notwendig, die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen vor den Folgen unserer klimaschädlichen Handlungen zu schützen!

Ich habe das Glück, durch mein Studium einen Blick auf die zukünftigen Folgen der Umweltzerstörung für die Gesundheit werfen zu können. Wenn ich Arzt werde, wird es vielleicht schon zu spät sein, um sie zu verhindern. In diesem Rahmen kämpfe ich täglich für die Einhaltung der planetarischen Grenzen: durch die Teilnahme am politischen Leben in meiner Gemeinde und meinem Kanton. Aber auch durch das Vereinsmilieu und die Institutionen innerhalb der Universität Genf. Diese Wege haben jedoch ihre Grenzen, die Veränderungen sind zu selten und kommen viel zu spät. So kam es, dass ich mich am 4. Oktober 2021 in Zürich traf, um die Schweizer Regierung aufzufordern, etwas gegen die existenzielle Bedrohung durch den Klimawandel zu unternehmen.

Ich habe mich nicht aus Spass an einer Aktion des zivilen Ungehorsams beteiligt, sondern weil ich keine andere Wahl habe: Man muss alles versuchen, um zu retten, was noch zu retten ist.

GILBERT :

Was wollen wir ? Was wollen wir Menschen ?

Was wollen wir für unsere Kinder, unsere Zukunft, unser Zuhause / unseren Planeten ?

Genau diese Frage stelle ich mir seit mehreren Jahren !

Wir, meine Familie und ich, wollen leben … ja mittlerweile sogar überleben.

Denn alle verlässlichen, unabhängigen und kompetenten Stimmen sagen uns, ja warnen uns gar eindringlich, wie schlimm es um uns, unsere Zukunft und unseren Planeten steht.

Und was tun wir ?

All das immer noch ignorieren oder dafür Ausreden suchen, Zeit schinden oder sich irgendwelche Dinge einreden in der Hoffnung, dass alles dann doch nicht so schlimm wird ?

An technische Errungenschaften glauben, die noch nicht erfunden sind, die uns retten sollen ?

Unser Vertrauen in Regierungen stecken, die uns diese Krise erst beschert haben ??

Ich meine zu tiefst in meinem Herzen : Nein.

Genug ist genug. Genug Zeit verloren! Wir müssen jetzt handeln, um noch eine reale Chance zum Überleben zu haben, und wir müssen jetzt unser eigenes Glück gewaltfrei aber bestimmt und besonnen in unsere Hände nehmen.

Was wollen wir?

Klimagerechtigkeit zusammen mit unseren Mitmenschen im globalen Süden und zwar jetzt und zack zack.